Ahrtalimpressionen, 21.08.-22.08.2021. 
Zwei Tage war ich jetzt vor Ort und es hat meine Vorstellungen, die ich von dieser Katastrophe hatte bei weitem übertroffen. Es ist ein Desaster unfassbaren Ausmaßes. Die Bilder, die ich aus den Medien kenne, spiegeln nur einen Bruchteil der tatsächlichen Zerstörung wider. Wenn man die Bahntrasse sieht, die abgebrochen in die Ahr ragt, das Loch, das bei Ahrbrück klafft…..unvorstellbar, das Wasser so eine Kraft haben kann, mit welch einer Brutalität die Ahr sich ihren Weg gebahnt hat. Ganze Straßen sind weg, einfach weg. Ich fahre am Samstag mit 2 Freunden zum Treffpunkt beim Helfershuttle auf dem Haribogelände bei Bonn. Ich bin begeistert von der Organisation vor Ort. Es ist an alles gedacht und es gibt nichts, das ich vermisse. Alles steht zur Verfügung und kann benutzt werden, angefangen vom Erste Hilfe Set bis zu den Sicherheitsgummistiefeln. Die Verpflegung vor Ort ist großartig. Firmen und Privatleute aus ganz Deutschland unterstützen dieses tolle Projekt. Es gibt sogar die Möglichkeit dort zu zelten. Rundherum sind nette und freundliche Menschen, eine große Community helfender Hände. Wir werden eingeteilt und mit einem Bus nach Ahrweiler gebracht. Dort wartet schon ein älterer Herr, dessen Haus bis zum 1.OG unter Wasser stand. Es gibt 2 Container, die mit Schutt zu befüllen sind. An den Wände im Haus wurde  der Putz weggestemmt bis zu der Höhe der Wasserkante. Alles was nass wurde ist auch belastet und muss weg. Die Häuser, die auf diese Art zu schaden gekommen sind müssen entkernt werden. Das ist dann ein Glücksfall, viele müssen abreißen. Es sind ja vielerlei Dinge die Ahr runter geschwommen, Kühlschränke, Autos, Weinfässer, Chemikalien, keiner weiß was alles dabei war. Das Hab und Gut vieler Menschen, die dort leben. Um den Schutt in die Container zu bringen bilden wir mit 15 Personen eine Eimerkette. Es sind Stuttgarter, Kölner und Menschen aus dem Ruhrgebiet dabei.  Es war eine anstrengende Arbeit, aber es war toll zu sehen wie sich die Container füllten. Der ältere Herr erzählte uns von der Flutnacht, von seinen Ängsten, die ihn seit dem begleiten. Besonders hat mich berührt, dass er sagte, ohne die privaten Helfer hätte er es nicht geschafft. Und die große Hilfsbereitschaft der Menschen gibt ihm eine Perspektive nach vorne zu blicken und die Kraft weiterzumachen. Während er das sagte brach ihm zuweilen die Stimme weg. Er erzählte, abends wenn er dann wieder mit seiner Frau alleine ist und die Nacht kommt, dann kommen auch die Gedanken, an das was war und das was wird. Mittlerweile hat er eine Straßenlaterne, die vor seiner Tür leuchtet, das macht ihn froh, denn die Häuser um ihn herum sind unbewohnt, eine Geisterstraße, gruselig diese Vorstellung. Zum Abschied schenkt er uns einen Wein, einen Flutwein. Der Wein trägt noch die Spuren dieser Nacht. Er möchte uns etwas zurück geben, er ist sehr dankbar.

Der 2te Tag startet wie der Vortag beim Shuttle und wir werden in einen Ortsteil von Bad Neuenahr geschickt, in eine Neubausiedlung. Das Haus ist noch nicht bezogen, der Erstbezug wäre im September gewesen. Es ist schlimm, der Schlamm steht 20 cm tief unter der Dämmung. Der Besitzer erzählte, das im Badezimmer der Estrich senkrecht stand. Das Wasser kam mit immensem Druck von unten. Es ist sehr anstrengend, stecken wir bis zu den Knöcheln oder höher im Matsch. Bei jedem Schritt läuft man Gefahr, dass der Gummistiefel stecken bleibt, so zäh ist die Masse. Es wird alles wieder in den Zustands eines Rohbaus zurück versetzt werden müssen. Der Boden, die Dämmung alles muss raus, aber er freut sich, er muss es nicht abreißen. Die Versicherung macht ihm leider Probleme. Er zeigt mir das Haus gegenüber, “das muss weg”, sagt er, wie viele andere Häuser auch. Im Garten sehe ich eine Schaukel stehen. Manche Sachen sind stehen geblieben und geben Hinweis auf den Bewohner. Andere Häuser sind komplett weg. Neben dem Haus mit der Schaukel steht nur noch die Terrasse. Das Haus, das dort stand ist samt Bodenplatte weggespült worden. Die Familie war zu diesem Zeitpunkt im Haus. Die Mutter und die Tochter sind leider tot. Überlebt hat nur der Vater. Es ist nicht in Worte zu fassen, was diese Menschen erlebt haben. Ich höre sehr viele, sehr berührende Geschichten. Um 17 Uhr fährt uns der Besitzer dankbar zum Treffpunkt. Dort lassen wir den Tag bei einem Bier miteinander ausklingen. Die Verpflegung ist wieder sehr gut. Es folgt ein Kaffee und ein Schokoladenkuchen. Wir sitzen zusammen, zufrieden, nachdenklich und reden. Ich höre andere Geschichten und sie sind alle berührend, machen mich traurig. Viele Betroffene sind traumatisiert, haben Angst haben zu duschen, bekommen beim Hören des Regens Panikattacken. Viele ertragen die Dunkelheit nur schwer. Trotz allem ich bin sehr froh dass ich hier sein kann, obwohl ich nicht wusste, ob ich den Anblick ertrage. Bin ich doch vor Jahren täglich durch dieses liebliche Tal zur Arbeit gefahren. Nun sitze ich zuhause im Trockenen, mit Toilette und einer Wohnung, die es mir möglich macht ein angenehmes normales Leben zu führen. Ich bin nachdenklich, bin demütig, traurig und auch froh. Ich habe sehr tolle Leute kennengelernt, viele ganz junge Leute, so alt wie meine Kinder, die Jugend ist hier ganz stark. Das macht mich zuversichtlich und ich bin stolz, stolz, dass wir so viele tolle Menschen in diesem Land haben. Es ist eine große Solidarität. Ich bin froh einen Teil dazu beitragen zu können. Ich werde wieder kommen.

Mein zweiter Besuch im Ahrtal (27.-29.08.21)
Vergangenen Freitag waren wir noch einmal beim Helfer-Shuttle bei Haribo in Bonn. Wer einmal dort war, der kommt wieder. Wir wurden zur Erich Kästner Realschule in Bad Neuenahr geschickt. Die Schulen im Tal vielfach in sehr desolatem Zustand, wenn sie nicht gleich ganz abgerissen werden müssen. Da die Sommerferien enden muss die Schule so hergerichtet werden, dass Unterricht stattfinden kann. Wir haben dort Bauzäune errichtet und die Grünflächen von Scherben, Müll und Schlamm befreit. Ich habe sogar noch ein altes Foto gefunden. Ein Teil unserer Gruppe hat in der Turnhalle den Boden heraus gestemmt. Die Dame die die Arbeiten betreute war überglücklich. So kann die Schule starten, wenn auch ohne Internet und Heizung. Der Unterricht wird in den oberen Etagen stattfinden, im Erdgeschoss wurde alles verwüstet.  Wir ziehen nach 5 Stunden weiter und finden eine Straße weiter einen Schulhausmeister einer anderen Schule, der trotz des Chaos in dem er sich befand und angesichts der baldigen Schulöffnung seinen Humor noch hatte. Dort haben wir in 3 Stunden den Schulhof eingezäunt und aufgeräumt. Auf meine Frage hin, was er gemacht hätte wenn wir nicht vorbei gekommen wären, zuckte er mit den Schultern. Er erzählte, dass es seit der Flut Gott sei Dank viele viele Helfer ins Tal zieht. Wir erfuhren von ihm, dass das Unglück einen Tag vor Ferienbeginn stattgefunden hat und dass die Aula mit Innenhof für ein großes Fest mit Schülern Eltern und Lehrern vorbereitet war. Er sagte es sei alles bereit gewesen mit Stehtischen und Gasgrills, die seine eigenen waren. Die seien jetzt weg, wie vieles andere auch. Er erzählt von Schulfamilien die alles verloren haben. Glück bedeute es, wenn es nur materieller Schaden sei. Es sind ca. 50 Familien, die alles verloren haben. Er sagte, es werden Seelsorger vor Ort sein zu Schulbeginn, nichts sei mehr wie es war.

An meinem 2ten Tag fuhren wir nach Walporzheim. In dem Haus gab es bereits ausreichend Helfer und so zogen wir auf eigene Faust los. Unmittelbar an der Ahr wurden wir fündig. Es reiht sich dort Haus an Haus, viele zum Abriss gekennzeichnet.  Ein Bild des Grauens, wie nach einem Krieg. So viel Zerstörung. Vom Schlamm bedeckte Häuser, der Schlamm wird schon grün und setzt Moos an. Am Ende der Straße meterhoch der Müll bestehend aus Bäumen, Ästen, Waschmaschinen, eben den ganzen Dingen, die die Ahr runter gespült wurden. Wir finden in einem kleinen Haus den Helli. Ein älterer Mann, der uns erzählte, dass das Haus bis über das Dach geflutet war. Man erkannte an den Nebengebäuden gut die Wasserkante, ca. 5 Meter hoch. Unglaublich. Er wollte sein Haus wieder aufbauen. Sein Lebenswerk, ein altes Fachwerkhaus.  Wir halfen beim entkernen des Hauses mit Hammer, Meißel und  Stemmhammer. Wir waren 7 Frauen, zufällig zusammen gewürfelt. Helli konnte sein Glück kaum fassen. Wir entsorgten Eimer für Eimer über das Fenster. Es war sehr anstrengend durch das Tragen von Maske und Brille. Als ich das Gebäude zum 1ten Mal sah dachte ich mir man sollte es abreißen. Aber in diesem Haus hat er mit seiner Familie sein Leben verbracht, mit seinen zwei Kindern und seiner Frau. Außerdem befürchtete er dass wenn er es einmal abgerissen habe, ihm die Genehmigung für den Neuaufbau entzogen würde.  Er sagte, er gehöre dort hin. Es herrschte eine komische Stimmung in dieser Straße. Wie in einem Endzeit-Film. Es reihte sich Seecontainer an Seecontainer, darin wurde Material gelagert, damit es gesichert war. Es regnete und es war alles extrem matschig, die Menschen, die mir begegneten waren voller Schlamm.  Es fahren Bagger, eine Frau mit einer Schubkarre voll Schutt kam mir weinend entgegen. Es war deutlich spürbar, dass das noch lange lange dauern wird bis hier wieder ein annähernd normales Leben stattfinden kann. Uns empfing eine junge Feuerwehrfrau, 17 Jahre, eine fröhliche junge Frau. Helli hatte sie zufällig kennengelernt, einfach helfen ohne einander zu kennen, so läuft das seit diesem Ereignis. Sie erzählte Geschichten, die sie erlebt hatte, in dieser Nacht, in der sie einen Einsatz hatte…….von einem Familienvater, der keinen Ausweg mehr sah und alle mitnahm, von dem 6 Wochen alten Säugling der im Baum gefunden wurde, wie auch der Fuß im Schlamm in der Garage…Es war so unglaublich entsetzlich, dass ich hoffte ich möge erwachen. Für mich war dies nur ein Wochenende.  Aber diese Menschen leben diesen Alptraum seit Wochen, dieses Grauen Tag für Tag, zum Teil bis heute. Ein Mann lebt seitdem in seinem Auto, geht im Duschwagen duschen und wird im Zelt täglich verpflegt…..es ist so unvorstellbar dass das sich das Leben so ändern kann, von einem Tag zum anderen.  Ich lerne daraus meinen Fokus mehr auf die kleinen Dinge zu legen. Im jetzt zu leben und ich lerne Dankbarkeit für all das, was ich habe. Uns scheint es normal weil wir es nicht anders kennen.  Strom, sauberes Wasser, ausreichend Essen, ein Dach über dem Kopf, das kleine Auto, Kleidung…….es ist nicht normal, nur weil es immer so war. Ich mache mir täglich bewusst wie schön es ist wie es ist und dafür bin ich dankbar.

weitere Infos:
Helfen vor Ort – DZN Hilfsorganisation (dzn-hilfe.com)